Kapelle St. Georg

Man könnte auf dem Montfortplatz in Tettnang vor den repräsentativen Fassaden des Alten und des Neuen Schlosses die St.-Georgs-Kapelle fast übersehen. Erst mit zweitem Blick entdeckt man das Gotteshaus, das trotz zentraler Lage im Herzen der Stadt lange Zeit weniger im Bewusstsein der Bürger präsent gewesen ist. Nach gelungener Renovierung und Umgestaltung hat die ‚Kirche am Weg‘ wieder einen festen Platz im Leben der Kirchengemeinde mit Eucharistiefeiern, Markt- und Rosenkranzgebeten, Taufen und Hochzeiten. 

Baugeschichte

Der Ursprung der St.-Georgs-Kapelle geht auf Wilhelm II. von Montfort (†1354) zurück. Erstmals wurde im Jahre 1416 eine Kapelle, Vorgängerbau des heutigen Gotteshauses, urkundlich erwähnt. In jenem Jahr war Johannes Bucheller (Bücheler, Biehler) Kaplan in St. Georg. Die Nähe zur mittelalterlichen Burg der Grafen von Montfort, die an der Stelle des Neuen Schlosses stand, und die Wahl des Hl. Georg als Patron lassen vermuten, dass die Kapelle als Gotteshaus für das Grafengeschlecht, vielleicht als Burgkapelle gedient hat. Diese erste Kapelle hatte bereits einen Hochaltar und zwei Seitenaltäre, obwohl die Stadtkirche schon damals St. Gallus war. 1435 stiftete der gebürtige Tettnanger Kaufmann in Nürnberg Hans Albrecht gemeinsam mit dem regierenden Grafen Wilhelm V. von Montfort (†1439) die Frühmesspfründe zu St. Georg. Eine zweite Kaplaneipfründe stiftete 1483 Johannes Sattler, Pfarrer in Eglofs und ebenfalls in Tettnang geboren.

Als Tettnang im Dreißigjährigen Krieg weitgehend zerstört wurde, erlitt auch die Georgs-Kapelle erheblichen Schaden. Graf Johann X. (†1686) ließ 1667 gegenüber der Kapelle ein neues Schloss errichten, das heutige Rathaus, und ordnete an, die inzwischen baufällige Kapelle vor seiner Residenz zu erneuern. Er beauftragte den Maurermeister Heinrich Bader aus Lingenau im Bregenzer Wald mit dem Bau der heutigen Kapelle auf den Grundmauern der alten. Die Einweihung des bescheidenen Barockbaus erfolgte 1682.

Als die Pfarrkirche St. Gallus zwischen 1858 und 1860 neu errichtet wurde, übernahm St. Georg vorübergehend deren Funktionen. In den Nischen beiderseits des Chorbogens befanden sich die Beichtstühle.

1876 erfolgte eine Umgestaltung der St.-Georgs-Kapelle. Empore, Bänke und Bodenbelag wurden erneuert, die Seitenaltäre durch zwei neugotische Altäre ersetzt, der linke mit einer Figur des Hl. Georg von Carl Meintel aus Horb, der rechte von dem Tettnanger Carl Reihing mit einer Figur des Hl. Gebhard aus der Werkstatt des Bildhauers Metz in Gebrazhofen. Teile der Kanzel kamen in das Museum in Friedrichshafen, wo sie 1944 den Bomben zum Opfer fielen.

Hinter der Kapelle stand bis Ende der 1960er Jahre ein kleines Haus, in dem der jeweilige Mesner der Kapelle wohnte. 1965 wurde die Kapelle renoviert. Im Innern erhielt das Gotteshaus einen neuen Anstrich, der Hauptaltar wurde aufgefrischt, die neugotischen Seitenaltäre beseitigt und durch einfache Altarplatten ersetzt. Der brüchige Außenputz, der noch einen Tarnanstrich von 1939 aufwies, wurde ersetzt. Die Kapelle erhielt ein neues Dach, neue Türen und Türeinfassungen sowie neue Fenster.

Während einer Sturmnacht am 3. Juni 1999 wurde der Dachreiter derart stark beschädigt, dass eine größere Reparatur notwendig war. Turmgesims, Firsthaube, Glockenstuhlschwelle und Schindelverkleidung mussten erneuert oder ausgebessert werden. Gleichzeitig bekam der Turmfuß neue Blechverwahrungen und das Turmkreuz einen neuen Blattgold-Überzug.

Eine grundlegende, denkmalpflegerisch behutsame Umgestaltung erfolgte in den Jahren 2016 bis 2018 mit dem Ziel, die Kapelle intensiver als bisher zu nutzen. Erste Maßnahme war die Sanierung des Daches über den Nebenräumen und dem Quergang. Durch die Entfernung der marmorierten Chorschranke wurde der Aktionsraum vor dem Altar erweitert. Der historische Taufstein von 1582 erhielt links vor dem Chor einen neuen Platz. Das bisher unbeheizte Gebäude mit überholungsbedürftiger elektrischer Anlage wurde mit speziell für diese Anwendung konzipierten abgehängten Heizstrahlern ausgestattet, die mit Leuchtkörpern kombiniert sind. Die Nebenräume wurden zu einer Pilgerherberge ausgebaut. Wesentliche Neuerungen dabei waren das Herausbrechen der beiden Fensterbrüstungen im Quergang und der zusätzliche, mit Holzschindeln gedeckte Anbau zur Unterbringung der Sanitäranlagen.

Darstellung der vor dem Kreuz knienden Maria Magdalena im barocken Hochaltar

Mehr über die Orgel der Kapelle St. Georg erfahren Sie hier […]

Baubeschreibung 

Die Kapelle St. Georg ist nach Nordosten ausgerichtet. Die kleine Hallenkirche hat einen eingezogenen, flach schließenden Chor und zwei Nebenräumen, die links und rechts vom Chor über die Breite des Langhauses hinaus ragen und hinter dem Chor durch einen schmalen Gang verbunden sind. Der linke, nördliche Nebenraum wurde früher als Sakristei genutzt, der rechte als Abstellraum. Der Chorraum liegt um zwei Stufen gegenüber dem Langhaus höher. Die hölzerne Empore wird von zwei quadratischen Holzsäulen gestützt. 

An der unauffälligen westlichen Giebelwand befindet sich eine rechteckige, zweiflüglige Eingangstür und im Giebel ein Flachbogenfenster. Die Längsseiten der Kapelle sind jeweils mit drei Flachbogenfenstern ausgestattet, das mittlere an der Südseite ist kürzer. Darunter befindet sich eine zweite rechteckige Zugangstür. Die Nebenräume haben innen Flachbogennischen mit Rechteckfenstern. Je ein verkröpftes Rundbogenfenster befindet sich an den Längsseiten des Chors und ein weiteres in der östlichen Giebelwand, die im First mit drei elliptischen Luken abschließt. Eine weitere Rechtecktür mit quadratischem Oberlicht führt in den südlichen Chornebenraum und ist der Zugang zur Pilgerherberge. Langhaus, Chor und Nebenräume werden überdeckt von Kreuzgratgewölben. Die schmalen Stuckrippen der Gewölbe enden auf dekorativen Karniskonsolen. Der halbrund schließende Chorbogen stützt sich auf schmale Stuckkämpfer. Die beiden seitlichen, früher offenen Korbbögen zu den Nebenräumen im Chor sind seit dem letzten Umbau verschlossen, der rechte durch eine Glaswand mit Glastür, der linke ist zugemauert. In dieser Mauer ist der Tabernakel eingelassen. Östlich des Quergangs befinden sich Sanitäranlagen in einem 1,70 m tiefen Anbau. Der Zugang zu diesen führt über zwei Durchlässe, die durch das Herausbrechen der Fensterbrüstungen entstanden sind.  

Langhaus und Chor haben ein gemeinsames Satteldach. Das Pultdach über den Chornebenräumen und dem Quergang stoßen an die Chorwände an. Auf dem Chordach sitzt ein sechsseitiger, mit Schindeln gedeckter Dachreiter, allseitigen Schallluken und einem Spitzhelm. Der mit Holzschindeln eingefasste Anbau mit den Sanitäranlagen greift die Verschindelung des Dachreiters auf. Die Kapelle ist außen 27,20 m lang und im Bereich der Nebenräume 14,20 m breit. 

Ausstattung 

Von den Ausstattungsgegenständen sticht beim Eintritt in die Kapelle der barocke Hochaltar ins Auge 

Als 1828 im Neuen Schloss die dortige Kapelle profaniert wurde, kamen der Hochaltar, die Seitenaltären und die Kanzel in die St. Georgs-Kapelle. Der Altartisch in Sarkophagform zeigt in der Mitte innerhalb eines ausgesparten und verkröpften Querovals ein Holzrelief mit der Beweinung Christi. Hinter dem Tisch erhebt sich auf einem Sockel mit der Inschrift JESV CRVCIFIXE MISERERE MEI (Gekreuzigter Jesus, erbarme Dich meiner) ein 3,80 m hohes Kruzifix, davor links kniend die Hl. Maria Magdalena. Beide Figuren sind aus Holz. Die mit einer Flachbogenöffnung ausgeschnittene Rückwand wird flankiert von vier im unteren Drittel kannelierten korinthischen Säulen auf hohen Sockeln aus Stuckmarmor. Zwei kurze Eckpfeiler darüber, die den halbkuppelförmigen Aufsatz tragen, sind mit Voluten verbunden, auf denen zwei Putten sitzen. Drei weitere Putten auf der dreimal durchbrochenen Kuppel schließen den Reigen und das Gesamtbild nach oben hin ab. Der Hochaltar stammt aus der Werkstatt des Mimmenhausener Künstler Josef Anton Feuchtmayer. 

An der linken Seitenwand im Langhaus befinden sich zwischen den Fenstern zwei jeweils 105 cm hohe Holzfiguren, die Ende des 15. Jahrhunderts entstanden sind: hinten der Hl. Wolfgang und vorne die Hl. Ottilie. Von dem 1876 gestalteten linken Seitenaltar blieb die Georgs-Figur des Bildhauers Carl Meintel erhalten. Sie befindet sich nun innerhalb der rechten Flachbodennische in vorderen Teil der Kapelle. In der Nische gegenüber steht eine 67 cm hohe Halbfigur Gottesmutter mit Kind. Diese Skulptur ist aus Gips und befand sich bis zur letzten Restaurierung im Sitzungssaal des Rathauses.  

An der rechten Stirnseite des Langhauses zum Chor hin hängt ein Gemälde, das die Geburt Christi darstellt. Es entstand Anfang des 19. Jahrhunderts von einem unbekannten Künstler. An der linken Stirnseite befindet sich das Bild ‚Christus als Erlöser der Welt‘. Es ist die Stiftung eines Wohltäters aus Friedrichshafen und eine Kopie des Gemäldes ‚Salvator Mundi‘ des flämischen Malers Anthonis van Dyck (1599-1641). Davor steht ein steinerner Taufstein auf dem Jahr 1582. 

Eine kleine Kostbarkeit ist das so genannte Prager Jesuskind an der Südwand des Langhauses. Die 35 cm hohe Figur hat natürliches Haar und ein damasziertes Seidenkleid, Kopf und Hände sind aus Wachs (8). Sie steht in einem dreiseitigen Glasschrein mit kunstvoller Rocailleverzierung. Das Jesuskind und der Schrein stammen aus dem dritten Viertel des 18. Jahrhundert. Ihren Weg nach Tettnang ist bisher noch nicht ergründet.  

Vor der Empore befinden sich auf der rechten Seite drei, an der gegenüberliegenden Nordwand die anderen elf Bilder einer Kreuzwegstation. Sie stammen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus der Hand eines unbekannten Künstlers. Das Gemälde ‚Mariä Verkündung‘ im linken Nebenraum ist im Stil des beginnenden 18. Jahrhunderts gemalt. Seine Beschriftung „1806, Joseph Büchelmayer“ könnte ein Restaurierungshinweis sein. 

Bereits um 1650 ist der Bau einer Orgel für die Vorgängerkapelle belegt. 1858 erwarb die Kirchengemeinde für St. Georg ein Instrument mit sieben Registern von Johann Nepomuk Kiene aus Langenargen. Diese Orgel wurde zwischen 1860 und 1864 in St. Gallus eingesetzt und 1896 wegen ihres schlechten Zustands verkauft. 2019 konnte für die Kapelle eine passende Pfeifenorgel erworben werden. Das Instrument mit über 400 Pfeifen, acht Registern, verteilt auf zwei Manuale und Pedal wurde 1964 von der elsässischen Orgelbaufirma Carl Schwenkedel gebaut. Nachdem die Orgel auf die akustischen Gegebenheiten der St.-Georgs-Kapelle hin neu intoniert sowie ein Register ausgetauscht worden war, erfolgte am 25. Mai 2019 die feierliche Orgelweihe. 

An der südlichen Außenwand der Kapelle befindet sich zwischen dem mittleren und dem rechten Fenster innerhalb einer quadratischen Flachnische ein Fresko mit dem Hl. Georg. Nach einer Beschreibung von 1915 war über der Nische früher eine Sonnenuhr mit dem Montfort-Wappen angebracht. 

Die Glocke im Dachreiter wurde 1761 von Peter Ernst in Lindau gegossen. Sie hat einen Durchmesser von 62 cm und trägt auf dem Korpus Reliefs mit der Gottesmutter, zwei Heiligen und zwei Landsknechten, der eine mit dem Montfort-Wappen, der andere mit einer Inschriftenkartusche. 

Der Monfortische Taufstein von 1582 

Der älteste Gegenstand in der Kapelle St. Georg und eines der ältesten Relikte aus der Stadtgeschichte ist der ehemalige Taufstein der Grafen von Montfort. Auf einer quadratischen Sockelplatte steht eine Steinsäule aus Meeresmolasse mit sechseckigem Querschnitt, Würfelkapitell und breitem Fuß. Auf dem Kapitell ist auf einer Seite das Wappen der Grafen von Montfort herausgearbeitet, daneben drei weitere ledige Wappenschilde. Das Taufbecken, ebenso wie die Säule aus Meeresmolasse gefertigt, ist 24 cm hohe und hat einen Durchmesser von 51 cm. Auf dem Rand sind umlaufend in zwei Reihen übereinander die Namen von drei angeheirateten Gräfinnen des Hauses Montfort in groben Kapitalen eingehauen, unterbrochen von der Jahreszahl 1582 und drei kleinen ledigen Wappenschilden.  

Das historische Taufbecken war seit Jahrzehnten in einer Mauernische am seitlichen Eingang zweckentfremdet als Weihwasserbecken befestigt. Wann dieses Kleinod in der Nische aufgestellt wurde, lässt sich heute nicht mehr nachweisen. Den Unterbau hat man als aufgeputztes Sockelimitat gedeutet. Erst bei der Renovierung der Kapelle 2016 wurde der Nachweis erbracht, dass es sich hierbei tatsächlich um den eingemauerten, ursprünglichen Sockel handelt. Das Becken und die Steinsäule wurden sachgemäß ausgebaut, restauriert, mit einer Sockelplatte versehen und rechts vor dem Chor mit entsprechendem Freiraum neu aufgestellt. Nach vielleicht mehreren hundert Jahren konnte über dem montfortischen Taufstein am 24. Juni 2018 erstmals wieder das Sakrament der Taufe gespendet werden. 

Bei den drei Namen der Montfort-Gräfinnen handelt es sich um 1. Anna von Montfort, geb. von Lobkowitz, (†1604), Ga[n von Graf Georg IV. aus der steirischen Linie Mintfort-Bregenz-PfannbergBeckach, 2. Barbara von Mon?ort, geb. von Fürstenberg (†1601), Ga[n von Heinrich VII. aus der Linie Montfort-Tettnang-Rothenfels, und 3. Ursula von Montfort, geb. von Solms-Lich (†1606), Ga[n von Ulrich IX., dem Bruder von Graf Heinrich. Mit Ulrich starb 1574 die in Tettnang regierende Linie Montfort-Tettnang-Rothenfels aus. Georg und sein Bruder Johann VII. (†1619) übernahmen die GrafschaX. Allein Johann konnte mit seinem Sohn Hugo XVIII. (†1662) den Fortbestand des Hauses Montfort sichern, das als die jüngere Linie zu Tettnang in die Geschichte eingegangen ist. Hugo war der Vater von Johann X., dem Erbauer der heutigen St. Georgs-Kapelle. 

Alle drei auf dem Taufstein genannten Gräfinnen blieben ohne männlichen Nachkommen. Vermutlich war es der am 1. April 1599 geborene Hugo, der als erster in der Stammfolge über dem Taufstein getauft wurde. 

Die Pilgerherberge

Im östlichen Teil von St. Georg in Tettnang befindet sich seit dem Umbau 2016/18 eine außergewöhnliche und attraktive Pilgerherberge. Alles Wissenswerte dazu – und wie Sie als Pilger hier übernachten können – erfahren Sie hier […]

Gisbert Hoffmann

Literatur

Frick, Dr. Alex: Pfarrei St. Gallus Tettnang, Kleiner  Kunstführer Nr. 1335, 1. Auflage, Schnell + Steiner, München/Zürich 1982.

Goerlich, Martina: Der Weg zur Pilgerherberge – Die Wiederbelebung der Kapelle St. Georg in Tettnang, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Nr. 4 2018, S. 235-240.

Hoffmann, Gisbert: Kapellen in Tettnang und Meckenbeuren, Heimat-Zeichen 5, Förderkreis Heimatkunde Tettnang (Hg.), Tettnang 2004.

Hinweis

Der Kunstführer „Die Kapellen der katholischen Pfarrgemeinde St. Gallus, Tettnang“, dem dieser Text entnommen wurde, ist im Pfarrbüro, in der Pfarrkirche und in den Kapellen der Pfarrgemeinde zum Preis von € 5,00 erhältlich.