Loreto-Kapelle

Die im Dreißigjährigen Krieg erbaute Loreto-Kapelle stand noch 1838 „ungefähr 200 Schritt vor der Stadt“. Über Jahrhunderte war sie ein beliebtes Wallfahrtsziel. Darauf deutet der Umgang noch heute hin. Durch das ausladende Dach erscheint das Gotteshaus viel größer, als das Gebäude im Kern tatsächlich ist. 

Baugeschichte 

In der schweren Zeit des Dreißigjährigen Krieges ließ Gräfin Euphrosina von Montfort (†1651), geb. von Waldburg-Wolfegg im Jahr 1624, die Loreto-Kapelle „ex voto“ erbauen, das heißt, sie erfüllte damit ein Gelöbnis, das sie zur Erlangung von Gottes Hilfe in großer Not abgelegt hatte. Der Hintergrund des Gelöbnisses könnte die Abwehr der nahenden Schwedengefahr gewesen sein.  

Nach der Legende wurde das Haus der Hl. Familie in Nazareth, die „Santa Casa“, in dem Maria aufgewachsen und die Verkündigung empfangen hatte, von Engeln in einen Lorbeerhain in der Nähe der italienischen Stadt Loreto gebracht und damit vor der Zerstörung durch die Muslims gerettet. Loreto wurde zum bedeutendsten Marienwallfahrtsort Italiens. Im Zuge der Gegenreformation entstanden überall im europäischen Verbreitungsgebiet des katholischen Glaubens Loreto-Kapellen, besonders in Süddeutschland. Sie sind baulich der Santa Casa in Loreto nachempfunden. Die Tettnanger Kapelle war die erste dieser Art in Württemberg. Wie die Santa Casa hat sie ein Tonnengewölbe und war ursprünglich fensterlos. Bei der Kapelle fehlten anfangs der offene Umgang und die Empore mit der Nordwestfassade. Wann der Umgang – ein typisches Merkmal von Wallfahrtskirchen und -kapellen – entstand, ist nicht bekannt. 

Als die Kapelle am 22. August 1627 eingeweiht wurde, stiftete Gräfin Euphrosina auch eine Rosenkranzbruderschaft und ernannte den damaligen Stadtpfarrer Urban Lidel zum Präses. Die Bruderschaft hatte die Aufgabe, an jedem Sonntagnachmittag der Rosenkranz in der Kapelle zu beten. Sie erhielt 1705 von Rom ihre Bestätigung, zog aber schon bald an die Pfarrkirche um und ruht seit dem Neubau der St.-Gallus-Kirche im Jahre 1860. Schon bald nach ihrer Erbauung entwickelte sich die Loreto-Kapelle in Tettnang zu einer beliebten Wallfahrtsstätte, von der Pater Andreas Arzet, der Chronist des Hauses Montfort, schrieb: „die Loretanische Capell wirt nit allein von Tettnangern, sondern auch von andern umliegenden täglich mit großer Andacht besucht“. 

Der Enkel der Stifterin, Graf Ernst von Montfort (†1759), stifete am 18. März 1738 die LoretoKaplanei mit den Auflagen, dass an vier Tagen in der Woche die Messe zu lesen und jeweils ein musikalischer Priester einzusetzen sei. Der sollte auch die Chorleitung in der Stadtpfarrkirche übernehmen und die Kinder musikalisch ausbilden. Die Kaplanei bestand 90 Jahre und wurde 1828 in ein Vikariat umgewandelt.  

1868 wurde die Loreto-Kapelle renoviert und ein neuer Altar beschafft. Der Tettnanger Bildhauer Karl Reihing erhielt für 880 Gulden und 42 Kreuzer hierfür den Auftrag. 1879 entstand auf Betreiben der württembergischen Königin Pauline und ihrer Nichte Prinzessin Katharina im Mesnerhaus von Loreto eine Kleinkinderschule unter Leitung von Franziskanerinnen des Klosters Reute. Für die Schwestern wurde das kleine Gotteshaus zur Hauskapelle. Sie förderten mit hohem Engagement die Verehrung der Hl. Maria von Loreto und sorgten für den Erhalt und die Pflege der Kapelle. 

Die Loreto-Kapelle wurde im Jahre 1901 instandgesetzt und erhielt einen neuen Boden. Eine wesentliche Erweiterung erfuhr sie 1902: Die nordwestliche Giebelseite wurde über den Umgang bis zum First hinaufgezogen. Dadurch erhielt man eine Empore, das so genannten ‚Chörle‘, und damit im Innern einen beachtlichen Raumgewinn. 

Im Jahre 1934 nahm man weitere Änderungen vor: Außen erhielt der Umgang einen Steinplattenboden, innen wurde das Gitter nach hinten versetzt, um einen besseren Blick auf den Altar zu haben. Besonders in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen war Loreto eine beliebte Hochzeitskapelle. Eine wichtige Renovierung des Umganges erfolgte 1965. Die Brüstungsmauer wurde dabei erneuert, um den Gefahren des Straßenverkehrs zu begegnen. Außerdem erhielt der Umgang eine neue Dachdeckung und eine neue Holzdecke. 1977 wurden in der Kapelle umfangreiche Instandsetzungsarbeiten durchgeführt und neue Kirchenbänke beschafft. 15 Jahre später erfolgte eine Innensanierung und 1995 die Restaurierung des Turms. 

Eine grundlegende Sanierung wurde in den Jahren 2010 bis 2012 durchgeführt, nachdem man gravierende Schäden am Dachstuhl festgestellt hatte. Das Gebälk aus der Gründerzeit der Kapelle war stets nur notdürftig und unzureichend repariert worden. Um dieses aber zu erhalten, kam eine „Dachüber-Dach-Lösung“ zum Tragen, bei der parallel zum alten, nun konservierten Dachstuhl, ein neuer gesetzt wurde. Ersetzt wurden auch die Stützen des Umgangs. Außerdem erhielt die Kapelle eine Heizung, eine neue Beleuchtung und einen neuen, eisernen Aufgang zum ‚Chörle‘ 

Im Haus Loretostraße 21, das schräg gegenüber von der Kapelle liegt und bis Ende des letzten Jahrhunderts zu Loreto gehörte, wohnten bis 1983 Pfarrpensionäre, die in der Kapelle täglich die hl. Messe hielten. Danach gab es noch etwa zehn Jahre lang einmal monatlich einen Gottesdienst in Loreto.  

Baubeschreibung 

Die Loreto-Kapelle ist nach Südosten ausgerichtet. Ihre Baugeschichte lässt sich in drei Abschnitte einteilen: Bau der eigentlichen Kapelle mit dem Glockenturm, Erstellung eines offenen Umgangs und Errichtung der Empore mit der nordwestlichen Giebelwand. Die Kapelle selbst ist ein schlichter Rechteckbau mit Satteldach. Sie ist außen 11,70 m lang und 6,70 m breit. Die stabilen Seitenwände sind 0,90 m, die Stirnwände ca. 0,75 m dick. Sie tragen ein aus Backsteinen gemauertes FlachbogenTonnengewölbe. An den Längswänden verläuft am Übergang des Gewölbes zur Wand beiderseits ein profiliertes Gesims. In den Seitenwänden befinden sich drei Flachbogennischen mit Rechtecktüren, die zum Umgang hinaus führen. Das rechteckige Mosaikfenster in der Nordwestwand, das erst nachträglich eingebaut wurde, spendet nur wenig Licht. Über dem südöstlichen Giebel sitzt ein sechsseitiger, mit Blech verkleideter Fachwerkturm mit allseitigen Schallöffnungen und spitzem, ebenfalls blechverkleidetem Helm mit Doppelkreuz auf der Spitze. 

Die 1902 angebaute Empore öffnet sich gegen das Schiff mit einem 4,0 m breiten FlachbogenAusschnitt mit Holzbrüstung. Links und rechts sind Wandschränke eingebaut und Durchgänge zum Dachgebälk. Das in der oberen Hälfte gemeinsame Dach mit dem Schiff verläuft bis an die Unterkante der Pultdächer des Umgangs. Die dekorative nordwestliche Giebelwand ruht auf sechs quadratischen Säulen und ragt über die Dachflächen hinaus. Ein profiliertes Gurtgesims über den Säulen und ein dreipassartiger Putzabsatz gliedert die Giebelfläche. Von den drei nebeneinander liegenden butzenverglasten Rundbogenfenstern ist das mittlere größer und höher. 

Der offene Umgang hat – außer unter der Empore – ein umlaufendes Pultdach, das von abgefasten Holzpfeilern getragen wird. Die inneren Pfeiler sind an der Kapellenmauer angelehnt und mit Brettern verkleidet. Die äußeren ruhen auf einer etwa 1,0 m hohen Brüstungsmauer. Der Umgang hat eine Holzdecke und einen Steinplattenboden. In der Westecke des Umgangs befindet sich der Treppenaufgang zur Empore. 

Ausstattung 

Der neuromanische Altar der Loreto-Kapelle stammt aus der Werkstatt des Tettnanger Bildhauers Karl Reihing und wurde 1868 geschaffen. Drei Rundbogennischen, die mittlere größer und höher, sind durch schlanke Säulen gerahmt und dominieren den Altaraufbau. In der mittleren Nische, deren Hintergrund elektrisch indirekt beleuchtet werden kann, steht auf hohem Sockel eine 140 cm große Madonnenfigur aus dem 17. Jahrhundert. In den beiden Nischen daneben stehen – ebenfalls auf hohen Sockeln – die Figuren von zwei Heiligen, die mit dem Rosenkranzgebet eng verbunden sind: links der Hl. Dominikus, der nach einer Legende einen Rosenkranz aus der Hand der Muttergottes erhalten hat, rechts die Hl. Theresa von Avila, die Gründerin der Reformklöster der unbeschuhten Karmeliterinnen. Beide Figuren sind aus Holz, 100 cm hoch und entstanden Ende des 19. Jahrhunderts. Der Altaraufbau und die Mensa stehen getrennt voneinander. 

An den Seitenwänden und an der rückwärtigen Wand sind 15 barocke Rosenkranzmedaillons aufgehängt. Sie stammen aus der Pfarrkirche St. Gallus. Bei der Renovierung 1934 erhielt die Decke ein geschweiftes Stuckfeld mit dem Fresko Mariä Verkündigung, gemalt von dem Künstler Reeb aus Ellwangen/Jagst. 

Hinter der Mensa zieht ein schmiedeeisernes Gitter die Aufmerksamkeit auf sich. Das Gitter, das aus drei Rechteckfeldern besteht, geht über die gesamte Breite des Raumes. Es stammt aus der Zeit der Erbauung der Kapelle und befand sich zwischen 1934 und 2011 direkt hinter den Eingangstüren. Durch die sich kreuzenden Vierkantstäbe, die damit ein Rautenmuster bilden, wirkt das Gitter zwar schlicht und wehrhaft, wird aber durch die aufgesetzten ornamentalen Flachbänder, die Engelsköpfe, das Marien-Monogramm in der Mitte und die beiden farbenprächtigen Wappenbilder aufgewertet. Die Wappen verweisen auf das Stifterpaar der Kapelle: links das Wappen des Grafen Hugo XVIII. von Montfort-TeInang (†1662), rechts das seiner Gemahlin Euphrosina, geb. von Waldburg-Wolfegg (†1651).  

Bis vor wenigen Jahren hingen an den Außenwänden des Umganges die Kreuzwegstationen mit 14 Ölbildern aus dem 18. Jahrhundert. Obwohl diese 1946 letztmals restauriert worden sind, befinden sie sich in ausgesprochen schlechtem Zustand. Um sie vor weiterem Verfall zu schützen und dem Zugriff von Kunstdieben zu entziehen, wurden die Stationstafeln vorläufig eingelagert. 

Von den zwei Glocken im Dachreiter ist die größere eine Stiftung des Tettnanger Bürgermeisters Johann Ernst Gebhardt (1726-95) und des damaligen Stiftungspflegers Xaver Wiggermann. Sie trägt Flachreliefs mit dem Hl. Antonius von Padua und einer Kreuzigungsgruppe sowie die Namen der Stifter und des Gießers: „Franz Leopold Nik Meier gos mich zur Ehre Gottes in Lindau Anno 1788“. Die Glocke wurde am 26. Februar 1942 konfisziert, kam aber zur Freude der Kirchengemeinde am 6. Juli 1948 nach einer Irrfahrt unversehrt zurück. 

Ein kunstvolles Antependium aus der Loreto-Kapelle befindet sich heute im Stadtmuseum Tettnang. 

Die Holztafel aus dem Jahre 1653 zeigt in der Mitte eine Schutzmantel-Madonna, links den Hl. Dominikus und rechts die Hl. Katharina von Siena. Nachdem die Kapelle 1868 einen neuen Altar erhalten hatte, wurde der alte am 10. August 1869 öffentlich versteigert. Zu ihrer 1100-Jahrfeier im Jahre 1982 erhielt die Stadt Tettnang das Antependium als Dauerleihgabe. 

Die Madonnen-Statue in der Loreto-Kapelle 

Die Madonna mit dem Jesuskind auf dem Altar der Loreto-Kapelle sind Nachbildungen der Figur aus der Wallfahrtskirche im italienischen Loreto. Der Kopf der Maria und der Korpus des Jesuskindes sind aus Holz geschnitzt. Die Figuren tragen echtes Haar und sind mit reich verzierten Gewändern bekleidet. Nach der Überlieferung hat die Stifterin, Gräfin Euphrosina von Montfort, eines der Gewänder der Madonna selbst genäht und mit Perlen bestickt. Auch die Kronen für Mutter und Kind sind in gleicher Weise aufwendig mit Perlen und Edelsteinen verziert.  

Im Zuge der innerkirchlichen Aufklärung Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Christus- und Heiligenfiguren, die mit Stoffkleidern versehen waren, aus den Kirchen entfernt. Auch der damalige Stadtpfarrer von St. Gallus, Johannes Erath, ließ die Loreto-Madonna durch ein Holzbildnis des Tettnanger Bildhauer Karl Reihing ersetzen. Erst 1898 erhielt die montfortische Madonna wieder ihren angestammten Platz am Altar der Loreto-Kapelle. 

Die Madonna in der Loreto-Kapelle besitzt nach verschiedenen Stiftungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts heute insgesamt fünf zum Teil prächtige Kleider, die abhängig von den jeweiligen Festtagen innerhalb des Kirchenjahres getragen wurden: 

  • ein weißes Goldbrokatkleid mit Mantel, 
  • ein goldfarbenes Seidenkleid, perlenbestickt und mit Perlenketten versehen, mit grünem Samtmantel,
  • ein weißes Kleid mit goldenen Brokatbordüren, 
  • ein purpurrotes Samtkleid und Mantel mit goldener Blattstickerei und
  • ein weißes Kleid mit bunter Jacquard-Stickerei und blauem Samtmantel. 

Gisbert Hoffmann

Literatur

Frick, Dr. Alex: Pfarrei St. Gallus Tettnang, Kleiner  Kunstführer Nr. 1335, 1. Auflage, Schnell + Steiner, München/Zürich 1982. 

Hoffmann, Gisbert: Kapellen in Tettnang und Meckenbeuren, Heimat-Zeichen 5, Förderkreis Heimatkunde Tettnang (Hg.), Tettnang 2004.

Weiß, Roland: 125 Jahre Loreto-Kindergarten, 280 Jahre Kapelle – Orte des Glaubens, der Fürsorge und Begegnung, Tettnang 2004.

Hinweis

Der Kunstführer „Die Kapellen der katholischen Pfarrgemeinde St. Gallus, Tettnang“, dem dieser Text entnommen wurde, ist im Pfarrbüro, in der Pfarrkirche und in den Kapellen der Pfarrgemeinde zum Preis von € 5,00 erhältlich.

Darstellung der hl. Theresa von Avila rechts im Altaraufbau